Leser meines Blogs kennen das schon: Immer ist jemand schuld daran, dass ich zu einem Thema etwas schreibe. In diesem Fall kann ich sagen, der Benjamin von Service Design Süd West ist schuld daran. Er hat mir dieses Jahr schon von Russel L. Ackoff erzählt und von einer Methode, die er auf Basis seiner Ideen immer wieder in Projekten anwendet. Auf Benjamins Frage ob ich ihn kenne, antwortete ich erstmal mit „Nein“.
Wie in meinem ersten Newsletter beschrieben, bin ich Russel L. Ackoff beim IDEO U vor kurzem dann erneut begegnet, mit Zitaten und Ansätzen von ihm, die die Grundlage der Methoden bildeten. Neugierig geworden, habe ich mir Russel Ackoff nochmals genauer angeschaut und mich mit ihm beschäftigt. Lustigerweise gibt es kaum deutschsprachige Literatur von ihm, vieles ist (englischsprachig) aus den 70/80er Jahren und manche Bücher von ihm sind im gebrauchten Zustand über irgendwelche Online-Buchhändler teilweise nur zu happigen Preisen erhältlich. Ich habe mir 2 Büchlein geleistet, einmal „System Thinking for curious Managers“ und ein zweites, dass ich gebraucht über Medimops erworben habe „Ackoff’s best“. Mein Exemplar erschien 1999. Das der oder die Vorleserin dieses Buches nachgewiesenermaßen nur bis zur Seite 22 gekommen ist, hat mich (bisher) nicht abgeschreckt. Auf Seite 22 fand ich einen dichtbeschriebenes Post-it und bis zu dieser Seite wurden Passagen mit Kugelschreiber unterstrichen.
Irgendwie schade und ich finde es fast ungerecht, dass Russel L. Ackoff zwar in einem kleinen Kreis eingeschworener Design Thinker*innen bekannt ist, aber ansonsten nicht so richtig. Insofern widme ich ihm hier diesen kleinen Newsletter-Beitrag #2, damit wenigstens ein paar mehr Menschen von ihm hören und am Ende vielleicht ähnlich fasziniert sind wie ich. Den ich meine, wenn es darum geht Systeme menschlicher zu machen, hat er eine Menge dazu beizutragen. Ich starte mit einem Zitat von ihm, dass ich fast schon liebe:
“Doing the right thing is more important than doing the thing right, especially if that thing is the wrong thing.”(1)
Und darauf aufbauend:
“The more efficient you are doing the wrong thing, the wronger you become. It’s much better to do the right thing wronger than the wrong thing righter. If you do the right thing wrong und you correct it, you’ll get better.”(2)
Es wird auch Peter Drucker zugesprochen, dieses Zitat. Wer letztendlich der Urheber ist? Who knows? Ich habe es in einem meiner Russel L. Ackoff Büchern (1) gefunden, den zweiten Satz in einem Podcast (2) gehört.
Ein Zitat, tragend, aber auch auffordernd, lebensweise. Findet ihr nicht auch? Unterstützend dahingehend die ersten Schritte zu gehen, die richtigen Dinge zu tun und keine Angst davor zu haben, auch Fehler dabei zu begehen, solange du bereit bist daraus zu lernen. Heute sprechen wir von einer guten Fehlerkultur in Unternehmen und das dies eine wichtige Grundlage ist.
Russell L. Ackoff war der Erste, der Design als mögliche Methode zur Betrachtung von Systemen erkannte und bildete hiermit letztendlich die Grundlage für das heutige Design Thinking. Das war 1974 und aus der klassischen Betriebswissenschaft kommend, war das für diese Zeit ein absolutes Novum. Im Fokus seiner Arbeit stellte er die Themen Interdependenz (welche Abhängigkeiten gibt es), Selbst-Organisation und Wahlmöglichkeiten in mehrdimensionalen Systemen.
Gerne nutzte Ackoff das Auto als Beispiel, um komplexe Themen verständlich und einfach zu erklären. Wie mit folgendem Beispiel: Die Kenntnisse aller funktionierenden Teile eines Automobils, helfen dir trotzdem nicht dabei zu verstehen, warum in Amerika auf der rechten Seite gefahren wird und die Briten auf der linken Seite fahren.
Oder auch
„A system it’s not the sum oft the behaviour of it’s parts, it’s the product of it’s interactions”. (3)
Auch hier das Auto als Beispiel: Die einzelnen Teile eines Autos sind nicht verantwortlich für die Mobilität, sondern die Interaktion der einzelnen Teile miteinander ist das, was es letztendlich physisch antreibt. Die einzelnen Teile an sich, sind funktionslos. Vielleicht ist es auch das, was mir Russel L. Ackoff sofort sympathisch gemacht hat: Seine pragmatische und einfache Übertragung von komplexen Theorien, leicht verständliche für jede*n formuliert.
Und darum geht es letztendlich bei Ackoffs Arbeit: Die Betrachtung ganzer Systeme und deren komplexe Einordnung.
Die Beziehungen, die Verbindungen, die Prozesse (Prozesse mehr als die Struktur), es geht um die Muster die in einem System erkennbar sind und den Kontext zu dem sie stehen. Perspektivenwechsel vornehmen, möglichst viele Betrachtungsweisen zu berücksichtigen. Wenn wir einen Blick auf die Verbindungen und Beziehungen von Systemen werfen, ist sehr naheliegend, dass es sich hierbei auch um Kommunikation, Informationsfluß und aber auch die – ich nenn es mal energetischen Stellen – handelt, die innerhalb eines Systems liegen. Woher kommt die Power (aber auch warum ist keine da)? Nachdem ich mich etwas mit ihm beschäftigt habe, verstehe ich warum Ackoff sowas wie der „Godfather of Design Thinking“ und den angegliederten Disziplinen ist.
Es gibt ein paar Grundpfeiler, die die Denkweise und letztendlich die Großartigkeit der Ideen und Gedanken des Russel L. Ackoff beschreiben. Ich versuche diese hier zusammenzufassen. Die Reihenfolge ist zufällig und hat keine hierarchische Bedeutung. Außerdem habe ich mich ja bisher nur ansatzweise damit beschäftigt und weiß gar nicht was ich alles noch finden werde. Aber here we go:
Nummer 1 // „Das Pferd von hinten aufzäumen“
“The best place to begin an intellectual journey is at its end.” Und “the best way to find out how to get from here to there is to find out how to get from there to here.”(4)
Hier beschreibt er, das ein Zielbild der zukünftigen Organisation, der Ausgangspunkt ist für den Start und den Beginn der Reise. Was liegt zwischen der Zukunft und dem Jetzt und was muss getan werden um von B nach A zu kommen. Also nicht was ist der nächste Schritt den wir tun müssen von A nach B zu kommen, sondern genau andersrum. Als Metapher wird es verglichen mit einem Tennismatch. Wenn ich bei einem Spiel mit 64 Spielern gewinnen möchte, muss ich (betrachte aus der Sicht von A nach B) 32 x Erstrundenspiele spielen, 16 x Zweitrunde, 8 x Drittrunde, 4 x Viertelfinale, 2 x Halbfinale und zuletzt das Finale. Alternativ von der anderen Seite betrachtet (von B nach A) bedeutet das, ich muss 63 x das Spiel gewonnen haben. Klingt viel einfacher, oder? Für mich beschreibt er hier die Vision und das Zielbild das ich mir als Organisation oder Mensch gesetzt habe. Ich wollte das nicht tun, aber ich sag es einfach verzeiht mir: der „Purpose“ ist jetzt im Spiel. Bewege dich rückwärts von deiner Zielvorstellung ins Jetzt und verstehe dadurch welche Schritte du unternehmen musst.
Korrektur am 01.02.2022 // Im Originaltext steht hier geschrieben:
"One can find the answer by working from the beginning to the end: There would be 32 first-round matches, 16 second round ... usw ... and 1 final (making 63 matches in all). Alternatively, we can work backwards from the end of the tournament,: there must be 63 losers to obtain a winner, hence 63 matches." Insofern entschuldige ich mich für den Übertragungsfehler und Unkorrektheit in der Wiedergabe. Ich hoffe aber das Grundprinzip ist trotzdem rübergekommen.
Nummer 2 // „Auflösen ist besser als lösen“
„It’s better to dissolve a problem than to solve it.”(5)
Hier geht es darum, wie Probleme beseitigt oder behandelt werden können. Wird ein Problem unabhängig von seiner Umgebung gelöst oder behoben und die Faktoren, die es unter Umständen verursacht haben bleiben bestehen, ist es nicht gelöst. Erst wenn auch die weiteren Umstände, die dazu geführt haben aufgelöst sind, wird es nicht wieder erneut auftreten.
Folgendes Beispiel von meiner Seite: Werden z.B. aufgrund von Mobbing-Tatbeständen die betroffenen Mitarbeiter*innen versetzt oder gekündigt und der oder die Mobbing/Bossing Verantwortliche bleibt. Was wird wohl als nächstes passieren? Ist das Problem gelöst oder wurde das Problem aufgelöst und kann nicht mehr passieren? Wenn Probleme isoliert betrachtet werden und nicht ganzheitlich betrachtet werden, werden sie wieder auftauchen. Das leuchtet mir ein. Und wie geht es euch damit?
Nummer 3 // Systeme – Betrachtung aus verschiedenen Richtungen, Systemtheorie
Ich bin keine Soziologin und kenne die Quellen und Referenzierungen die Ackoff anführt nicht. ABER: Ich bin begeistert von der Ganzheitlichkeit seiner Betrachtungen und von den Einordnungen unterschiedlicher Systeme die Ackoff trifft, die sich deckt mit der Weiterentwicklung wie sie gerade im Bereich Design Thinking und Human Centered System Thinking stattfindet (weswegen sein Name auch in diesem Zusammenhang auftaucht, logischerweise).
In seinem Buch von 1999(3) beschreibt er Systeme auf verschiedenen Ebenen, unterscheidet diese nach Deterministischen, Animated, Social und Ecological Systemen und deren Wahlmöglichkeiten, greift hier bereits die besondere Bedeutung des „Ecological“ Systems hervor, dass die Begrenzung der einzelnen Systeme aufhebelt und und in Zusammenhang stellt. Das ökologische System als Klammer um alle anderen Systeme. Ohne Grenzen und unter Einbeziehung alles darin befindlichen Systeme. Und er beschreibt, wie die Optimierung innerhalb eines Systems, zwar dieses EINE System optimiert wird, dabei aber einen negativen Effekt auf das System als Ganzes haben kann.
Und mit den Ausführungen zu einem Sozialen System Organisation, was ja wiederum auf meinen Titel des Newsletters „Humanize the system“ einzahlt, möchte ich meine (ersten?) Beitrag zu Russell L. Ackoff erst einmal abschliessen. Es geht dabei um um einen Vorschlag für Organisationsdesign und der aus seiner Sicht (im übrigen 1986 geschriebenen – verrückt, oder?) erfolgreichen Komponenten und ich möchte nur den ersten Punkt hier anführen:
„Sie ist eine demokratische Organisation, in der jeder Einzelne, der von den Handlungen der Organisation betroffen ist, ein Mitspracherecht hat, und in der jeder, der als Einzelner Autorität über andere hat, deren kollektiver Autorität unterworfen ist.“(6)
Und alleine in diesem Satz steckt wieder so viel drin, was mich gerade beschäftigt. Verrückter Gedanke, dass „ … jeder Einzelne, der von den Handlungen der Organisation betroffen ist ein Mitspracherecht hat … “, oder?
Das bedeutet weg von der individuellen Betrachtung innerhalb eines Systems, die Grenzen aufbrechen und darüber hinausblicken. Wer ist noch davon betroffen und diesen eine Stimme zu verleihen. In Bezug auf Produkte heißt das: Nutzer*innen, aber auch Nicht-Nutzer*innen, die Menschen in der Produktion, die Umwelt (Pflanzen und Tiere) die davon betroffen sind.
Das ist so unglaublich wuchtig und wertvoll und in Bezug auf jegliche Marktmechanismen unabdingbar für unsere Zukunft.
Ihr versteht: dieser letzte Punkt in Bezug auf Organisationen und Systeme ist ein sehr wichtiger. Ich beende dennoch hiermit meinen Newsletter für heute.
Ich bin beeindruckt und lese nun weiter. Im Gegensatz zum/zur Vorleser*in bin ich zwischenzeitlich immerhin bei Seite 40 angekommen. Das nächste Kapitel heißt „Growth versus Development“ und das klingt ja schon einmal vielversprechend.
Ich hoffe das war soweit alles verständlich. Ich schreibe hier meine Interpretation und meine Sichtweise auf Russel L. Ackoff und freue mich, dass ihn jetzt ein paar Menschen mehr kennengelernt haben. Was ist mit dir? Hast du ihn schon gekannt und etwas von ihm gelesen? Und wie findest du seine Erkenntnisse die ich hier mit euch geteilt habe?
Danke für's lesen,
Gabriele
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Quellenangabe
(1) „System Thinking for curious managers“ Russel L. Ackoff with Herber J. Addison and Andrew Carey, Triarchy Press Limited 2010
(2) Podcast “Safety moments – The wisdom of Russell L. Ackoff” https://open.spotify.com/episode/1mBuslXVN5tSBeMRry8UjZ?si=6af32e6a94e7409f
(3) Ackoff’s Best “His classic writing for management” 1999 John Wiley & Sons
(4) „System Thinking for curious managers“ Russel L. Ackoff, The new Management f-Laws, Nummer 89, Seite 47
(5) „System Thinking for curious managers“ Russel L. Ackoff, The new Management f-Laws, Nummer 87, Seite 45
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