Adieu! Ich brauch euch nicht mehr - warum ich meine Zeugnisse zerstöre und mich dabei auf einmal unglaublich befreit fühle.
Ich habe mich entschieden. Dafür entschieden einen endgültigen Cut zu machen. Einen endgültigen Abschluß hinter ein Kapitel zu bringen, dass da heißt Festanstellung, Jobsuche, Human Ressources, Bewertungen, Stellenausschreibungen, Arbeitszeugnisse. Und ich fange mit dem letzten der hier aufgeführten Punkte an: Ich sehe keinen Sinn mehr darin sie aufzubewahren. Darauf aufzupassen, dass kein Kaffeefleck darauf kommt oder das sie ein Eselsohr bekommt, wie die unschönen Knicke an der Ecke so nett genannt werden.
Heute ist der Tag, an dem meine Arbeitszeugnisse in Flammen aufgehen. Ich gebe Rauchzeichen für meine Selbständigkeit. Möchte damit Signale senden. An all diejenigen die noch daran glauben, die auf Zeugnisse stehen und tatsächlich ihre Bewerber noch danach aussuchen. Echt jetzt? Ihr lest die Dinger?
Warum tu ich das? Erste Reaktionen als ich vor einigen Wochen meine Gedanken dazu teilte: „Du bist so krass. Ich find das toll!“. Lachen „Geil! Krasse Aktion“. Stille: „Ich habe nochmal darüber nachgedacht und deine Gedanken hallen noch in mir nach.“
„Arbeitszeugnisse sind Bullshit“
Ja, ich habe mir Gedanken dazu gemacht und möchte diese mit euch teilen. Warum? Darum. Arbeitszeugnisse sind in den meisten Fällen Bullshit. Unverwertbar. Aus den unterschiedlichsten Gründen, die wichtigsten versuche ich hier im Artikel zu beschreiben. Zum einen habe ich einen großen Teil meiner Zeugnisse selbst geschrieben, da Unternehmen in denen ich arbeitete, keine Routine darin hatten, niemand da war der sich verantwortlich fühlte oder sonstiges.
Das ich damit nicht alleine bin, berichten mir auch andere, vor allem in kleineren Unternehmen oder Agenturen ist das oftmals der Fall.
Andere Arbeitszeugnisse wiederum, die rufen bei mir so schlechte Erinnerungen hervor, dass ich schreien möchte „Dann lasst es halt mit euren Scheiß-Zeugnissen, wenn ihr jemanden loswerden wollt!“. Diese Art der Zeugnisse läuft unter dem Fachjargon „Sie haben Anspruch auf ein wohlwollendes Zeugnis“. Dahinter verbergen sich Aufhebungsverträge und/oder Mobbing/Bossing Tatbestände.
Ganz ehrlich: da verzichte ich doch lieber darauf, das jemanden vorzulegen. Sie war super. Echt. Fanden alle, bis auf diese*n eine*n toxische*n Psychophaten (ach, hier beim letzten Wort, bin ich mal wieder so frei und lass das mit dem gendern).
Als Arbeitnehmer*in darf ich Korrekturwünsche an meinem Zeugnis äußern. Ich habe das oft von Kolleg*innen erlebt, die dann ihr Zeugnis 2-3 Mal durch die Korrekturschlaufe gejagt haben. Und dann endlich zufrieden, ist es da, ein langweiliges 1-er-Kack-Zeugnis. Bitteschön.
Meine schönste Job-Bezeichnung in einem Zeugnis war "Anwendungsentwicklerin in der IT". Das Digitalteam war der IT zugeordnet und in Ermangelung anderer Stellenbeschreibungen wurde ich so zur Anwendungsentwicklerin.
Nach einer gewissen beruflichen Laufbahn und der damit einhergehenden persönlichen Reifung kann ich folgendes berichten: 25 Jahre alte Arbeitszeugnisse haben glücklicherweise nichts, aber auch wirklich gar nichts mehr mit mir zu tun. Und da sind sie fast wie meine Schulzeugnisse: Hatte ich mal eine 5 in Mathe, heißt das noch lange nicht, dass ich schlecht in Mathe bin, oder war. Lebenslanges Lernen heißt das Zauberwort und #lifelonglearning ist einer meiner Lieblings-Hashtags. Letztendlich sind es doch nur Zeitzeugen meiner beruflichen Laufbahn, Wächter darüber, dass sich keine Lücke in den beruflichen Lebenslauf einschleicht.
Unbedingt gilt es noch zu erwähnen, diese mysteriösen Zeugnis-Codes: Achten Sie auf die Reihenfolge: Vorgesetzte, Kunden, Kollegen? Oder war es Kollegen, Vorgesetzte, Kunden? Wisst ihr was? Schiebt euch eure Geheim-Codes, sofern ihr sie verwendet sonst wohin. Sorry, aber DASS musste gerade raus.
„Es ist eine einseitige Bewertung“
Aber ein weiterer wesentlicher Punkt ist das folgende: Arbeitszeugnisse spiegeln nicht das wider, wie moderne Angestelltenverhältnisse in der noch vorherrschenden Lohnarbeit funktionieren sollten: Auf Augenhöhe. Oder wie es der Wunsch vieler ist, „Begegnung Erwachsener auf Augenhöhe“ *1. Es wird dadurch unterbunden, da es eine einseitige Bewertung ist.
Eine gegenseitige Bewertung, wie auch immer diese aussehen könnte, findet nicht statt. Der Lehrer bewertet seinen Schüler. Der Dienstherr sein Gesinde. Interessant übrigens, was bei Wikipedia*2 dazu steht und woher der Wunsch im deutschsprachigen Raum nach Arbeitszeugnissen herrührt. Maximal über Kununu, und da nur ausgelöst durch Selbstmotivation der Arbeitnehmer*innen, habe ich die Möglichkeit in die andere Richtung zu bewerten.
Toxische, narzistische Psychophat*innen in Führungspositionen, werden also weiterhin gedeckt, weggelobt und führen ihr mieses Spiel unmarkiert in anderen Unternehmen fort. Unternehmen die diese Spiele geduldet haben, gehen ohne Makel daraus hervor. Eine Lösung dafür habe ich nicht. Vielleicht ein ethischer Codex, ein Manifest*1, das ich beim Austritt aus dem Unternehmen mit Schulnoten bewerten darf? Die Ergebnisse offen für jeden transparent einzusehen?
International sind unsere deutschen Arbeitszeugnisse wohl eher von nachgelagertem Nutzen und Interesse. Eingetaucht bin ich allerdings in dieses Thema nicht, weil es mir – ihr ahnt es schon - egal ist. Dobby hat seine Socke.
Mir ist es egal. Ich habe meine Socke.
Jetzt tu ich einfach so, als ob ich schon immer Selbständig war, selbständig eben in einem unternehmerischen Kontext innerhalb eines Unternehmens. Selbständig ist hier mitten im Satz mit Absicht großgeschrieben. Und das trifft es auch für mich ganz gut. Ich habe immer mitgeformt, versucht zu verändern, versucht zu bewegen. Verantwortung zu übernehmen, Prozesse zu gestalten, Vorauszudenken, neue Methoden auszuprobieren. Was mir mal mehr mal weniger gelungen ist. Sie war stets sehr bemüht. Viel gelernt habe ich dabei immer. DAS übrigens, steht in keinem einzigen der Zeugnisse, die ich erhalten habe. Menschen müssten in ihrem gesamten Handeln und Agieren angeschaut werden, dafür sind aber die Arbeitszeugnisse in ihrer aktuellen Form nicht gedacht und zugegebenermaßen, ist das auch ein schwieriges Unterfangen.
Arbeitszeugnisse und deren Ersteller, hangeln sich weiter entlang einer Routine, angefangen bei deiner Stellenbeschreibung, weiter geht es dann mit den Projekten, und am Ende wirst du dann noch in deinem Skill-Setting benotet. Danke dafür, oh Dienstherr*in.
Ich frage mich, wo ist die Aufbruchstimmung im Bereich HR?
Ich vermisse in der ganzen Aufbruchsstimmung zu neuen Arbeitswelten die Diskussion über dieses Urzeit-Relikt. Welche modernen Lösungsansätze werden hier verfolgt? Schreibt mir gerne.Was immer in meinen Zeugnissen drin stand. Es ist nun einfach nur noch das, was es vorher schon war. Heiße Luft, Kalter Rauch?? Sucht es euch aus.
Ich habe mich übrigens gegen das Verbrennen entschieden, sondern erstmal zerschnitten und diese Schnipsel warten jetzt noch auf die nachträgliche Bearbeitung. Den Bilderrahmen dafür habe ich schon. Er wird dann irgendwann mal mit den Zeugnisschnipseln drin neben meiner zweiten ernstzunehmenden Botschaft "Dont work with assholes" stehen.
Quellen:*1 Markus Raitner „Manifest für menschliche Führung – 6 Thesen für neue Führung im Zeitalter der Digitalisierung“*2 https://de.wikipedia.org/wiki/Arbeitszeugnis
PS:Was ich übrigens bei diesem Blogbeitrag lernte:Es ist mir wirklich egal. Was sich zu Beginn wie Revolution anfühlte, ist jetzt nur noch eine logische Konsequenz.
Ich habe einen wirklich schönen CV erstellt, der meine aktuellen Skills spiegelt und die Dinge die mich derzeit interessieren. Auch habe ich Projekte angegeben und Kenntnisse zu bestimmten Bereichen und Themen sowie Engagement das ich sonst so mitbringe. Das fühlt sich richtig an und ich kann es für Projekte auch entsprechend anpassen, bei Punkten in die Tiefe gehen und ausführlicher beschreiben, die für dieses Projekt wichtig sind.
Letzendlich ist es doch bei jedem Projekt und bei jeder Zusammenarbeit entscheidend, wie es in DIESEM Projekt und mit DIESEM Team funktioniert. Und dafür gibt es in jedem Unternehmen und Projekten die Probezeit, bzw. muss die Zusammenarbeit nicht verlängert werden, wenn es nicht passt.
Zeugnisse knüpfen ja im Idealfall aneinander an und ergeben so den Lebenslauf. Warum ich wann nicht direkt in einer Lohnarbeit-Folgebeschäftigung tätig war und warum eventuell eine Lücke im Lebenslauf ist, geht niemanden was an.
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